Selbstverwaltung, Entwicklungen und Perspektiven, soziale Bewegungen, Krisen und soziale Oekonomie. Mit einem Interview mit Peter Bichsel.

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Der gleichnamige Band zum Thema Selbstverwaltung erschien erstmals 1996, das Buch ist nun auf unserer Seite im Volltext als pdf abrufbar.

 

VORWORT

Mit den neuen sozialen Bewegungen, besonders der Studenten- und Jugendbewegung der Sechziger- und der frühen Achtzigerjahre, lebte auch die Idee und Praxis der betrieblichen Selbstverwaltung nicht nur in den USA, sondern auch in der Schweiz und in andern kapitalistischen Industrie-Ländern Europas wieder auf. Schon seit Beginn der Industrialisierung haben Menschen, die existentiell absolut oder relativ unter den herrschenden Machtverhältnissen und Marktmechanismen der Moderne zu leiden
batten, in ähnlichen Widerstandsstrategien, Widerstandstheorien und alternativen

Überlebensformen Antworte auf diese Probleme gesucht: die Frühsozialisten mit ihren utopischen Gemeinschaften, die Entfremdungstheoretiker, die Pariser Kommune, die Anarchisten und Marxisten und andere an einer demokratischen Produktions- und Lebensweise interessierte Gruppen.Die in den letzten Jahren entstandenen selbstverwalteten Betriebe, sei es in der Schweiz oder in anderen kapitalistischen lndustrieländern, sind in der Regel weder aus der Arbeiter-, Gewerkschafts- noch aus der Genossenschaftsbewegung heraus entstanden. Zum einen orientiert sich die (heute) meist 'oligarchisierte' Gewerkschaftsbewegung selbst an der kapitalistischen Marktwirtschaft und ihren 'oligarchisierten' grosskapitalistischen Produktionsstrukturen. Zum andern hat sich mit wenigen Ausnahmen auch die 'alte' Genossenschaftsbewegung in grossen Organisationen oligarchisch und unkritisch marktbejahend abgesetzt, um Kapital maximal anzuhaufen, ohne dabei die 'neue' Genossenschaftsbewegung wie die der Selbstverwaltung bedeutend zu fordern. Im Gegenteil, die meisten selbstverwalteten
Betriebe sind aus 'eigener' Kraft im Kontext der neuen sozialen Bewegungen
- wie der Jugend-, Umwelt-, Frauen- oder Friedensbewegung - hervorgegangen.
Die übrigen selbstverwalteten Betriebe sind in der Regel im Zusammenhang mit Betriebstibernahmen entstanden. Sie stellen eher punktuelle und notgedrungene Bemühungen dar, Betriebsschliessungen zu vermeiden, Arbeits- und Immobilienmärkte zu stützen und den offentlichen Haushalt von Gemeinden und Regionen samt dem dazugehörenden ökonomischen Potential zu erhalten. Weder auf die Vergangenheit noch auf die Gegenwart bezogen, sind die an der Selbstverwaltung interessierten Menschen einer einzigen kulturellen oder politischen Richtung zuzuordnen. Sie handeln in unterschiedlichem Ausmass aus einem religiösen, sozialistischen, anarchistischen, verteilungspolitischen, 'kleinbürgerlichen', 'unternehmerischen' oder einem andern Selbstverständnis heraus. Alle an der Selbstverwaltung Interessierten aber widersetzen sich eigentlich den folgenden, der Moderne innewohnenden und miteinander verknüpften Tendenzen:

- der Tendenz, von traditionellen, hierarchischen betrieblichen Machtverhältnissen
und anonymen Marktkräften existentiell verunsichert und/oder durch sie in den Arbeits- und Lebensgemeinschaften auseinandergerissen zu werden,

- dem wachsenden Verlust der Kontrolle (durch Besitz und Verfügungsgewalt) über die Produktionsmittel und der damit verbundenen betrieblichen Arbeitsverhältnisse und -bedingungen.

Ungeachtet dieser Gemeinsamkeit werden mit der betrieblichen Selbstverwaltung aber oft noch andere Ziele verbunden. Den einen dient sie als materielle und soziale Basis zur Förderung gewisser kultureller Tatigkeiten, den andern zur Verwirklichung einer religiösen oder spirituellen Gemeinschaft; den einen zur Förderung einer sozialen Bewegung, den andern zur sozialpolitischen/charitativen Tätigkeit; den einen zur sozioökonomischen Entwicklung unter neuen Strukturen, den andern zum
Überleben im bestehenden System; den einen zur gesellschaftlich revolutionären
Transformation, den andern zur gesellschaftlichen 'Rückstufung.

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