„Sich nicht die Hände binden lassen“

Rosa Luxemburg, die Spartakusgruppe und der Kampf für eine oppositionsfähige Linke

USPD-Wahlplakat Januar 1919 (Quelle: Wikipedia)

Am Abend des 4. August 1914: Eine handvoll Vertreter der SPD-Linken versammelt sich in Rosa Luxemburgs Wohnung in Berlin-Südende. Die Stimmung ist gedrückt, denn das Unfassbare ist geschehen: Wenige Stunden zuvor hat die SPD-Fraktion im Reichstag den kaiserlichen Kriegskrediten zugestimmt. Damit unterstützte die Partei genau den Krieg, vor dem sie seit Jahren gewarnt hatte.

Bisher vertrat die Sozialdemokratie einen klar antimilitaristischen Standpunkt. Noch 1912 hatte die Sozialistische Internationale folgende Resolution verabschiedet: „Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht der Sozialdemokratie, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“ Doch jetzt, wo den Worten Taten folgen sollten, knickte die SPD-Führung ein.

In der Partei verbleiben?

Die Linken um Rosa Luxemburg hatten sich getroffen, um zu diskutieren, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Sie waren wenige – lediglich Hermann Duncker, Hugo Eberlein, Julian Marchlewski, Franz Mehring, Ernst Meyer und Wilhelm Pieck saßen in ihrer Wohnung. Luxemburg hatte trotz oftmals großer Differenzen mit der SPD-Führung nie eine feste Gruppe von Gleichgesinnten um sich geschart. Sie hatte befürchtet, sich so in der Partei zu isolieren.

Allen Anwesenden war klar, dass die gesamte Arbeit jetzt auf den Aufbau einer Antikriegsbewegung zu richten sei. Umstritten war jedoch, welche organisatorische Konsequenz die Linken aus dem Verrat der SPD-Führung ziehen sollten. Die Idee eines gemeinsamen, öffentlichkeitswirksamen Parteiaustritts kam auf – und wurde nach kurzer Diskussion von allen Beteiligten verworfen. Luxemburgs meinte ein paar Jahre später hierzu: „Aus kleinen Sekten und Konventikeln kann man ‚austreten‘, wenn sie einem nicht mehr passen, um neue Sekten und Konventikel zu gründen. Es ist nichts als unreife Phantasie, die gesamte Masse der Proletarier aus diesem schwersten und gefährlichsten Joch der Bourgeoisie durch einfachen ‚Austritt‘ befreien zu wollen und ihr auf diesem Wege mit tapferem Beispiel voranzugehen.“

Zugleich benannten die SPD-Linken klare Kriterien für ihr weiteres Verbleiben in der SPD. Leo Jogiches, der sich der Gruppe bald anschloss, fasste sie zusammen: Die Zugehörigkeit zur gegenwärtigen SPD darf von der Opposition nur solange aufrechterhalten werden, als diese ihre selbständige politische Aktion nicht hemmt noch beeinträchtigt. Die Opposition verbleibt in der Partei, nur um die Politik der Mehrheit auf Schritt und Tritt zu bekämpfen und zu durchkreuzen, die Massen von der unter dem Deckmantel der Sozialdemokratie betriebenen imperialistischen Politik zu schützen und die Partei als Rekrutierungsfeld für den proletarischen antiimperialistischen Klassenkampf zu benutzen.“

Luxemburg und ihre Genossen gingen davon aus, dass an der SPD-Basis große Verwirrung, aber auch Unmut über den Kurswechsel der Führung herrsche. Deshalb beschlossen sie eine Art Doppelstrategie. Zum einen wollten sie sich über Flugblätter direkt an die Arbeiterschaft wenden, um so eine außerparlamentarische Opposition gegen den Krieg aufzubauen. Zum anderen sollte auf allen Ebenen der Kampf um die Sozialdemokratie geführt werden.


Gärung in der SPD

Sehr schnell zeigte sich, dass es tatsächlich in der SPD rumorte. Aus vielen Ortsvereinen wurden Proteste gegen den Vorstand laut. Am 6. August sprach die überwältigende Mehrheit der Stuttgarter Ortsgruppe ihrer Reichstagsfraktion das Misstrauen aus. Auch die „Bremer Bürger-Zeitung“, der „Braunschweiger Volksfreund“, das Gothaer „Volksblatt“, „Der Kampf“ aus Duisburg, sowie Parteizeitungen in Nürnberg, Halle, Leipzig und Berlin veröffentlichten Proteststimmen gegen die Zustimmung zu den Kriegskrediten und spiegelten so die Ablehnung großer Teile der Parteibasis wider.

Dieser Unmut erreichte bald auch die SPD-Reichstagsfraktion. Am 4. August hatten noch alle Abgeordneten für die Kriegskredite gestimmt, auch die Linken um Karl Liebknecht, weil sie die Fraktionsdisziplin nicht brechen wollten. Nachdem Liebknecht bei Parteiversammlungen scharf für sein Verhalten kritisiert wurde, begann er, in der Fraktion gegen den Krieg zu arbeiten. Bei einer erneuten Abstimmung über die Kriegskredite am 2. Dezember 1914 stimmte Liebknecht als einziger Abgeordneter mit „Nein“ – und wurde so schlagartig zu einer Ikone des Widerstands. Im Lauf der Zeit konnte er immer mehr Abgeordnete auf seine Seite ziehen. So lehnten am 19. August 1915, knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn, bereits 36 Parlamentarier der SPD die Kredite ab.

Um ihre Ideen und ihre Kritik an der SPD-Führung bekannter zu machen, entschlossen sich Luxemburg und ihre Genossen, eine Zeitschrift herauszubringen. Diese sollte die namhaftesten Persönlichkeiten der Opposition zusammenbringen um möglichst breit in die Partei hineinzuwirken. Außerdem sollte sie dabei helfen, das Netzwerk der Kriegsgegner auf ein ideologisches Fundament zu stellen. Die Zeitschrift nannten die SPD-Linken „Die Internationale“, sich selbst Gruppe Internationale. Die erste Ausgabe erschien im April 1915 und war ein Riesenerfolg: Von 9.000 gedruckten Exemplaren gingen allein am ersten Abend 5.000 weg. Der Bedarf nach klaren Worten und Ideen gegen den Krieg war an der SPD-Basis enorm.

Weil „Die Internationale“ so erfolgreich war, kam nie eine zweite Ausgabe heraus – die kaiserlichen Behörden zensierten gnadenlos. Doch das half nichts: Infolge der einsetzenden Kriegsmüdigkeit erhielt die Antikriegsbewegung weiter Zulauf.

Am 1. Mai 1916 gingen etwa 10.000 Menschen in Berlin gegen den Krieg auf die Straße. Liebknecht ergriff das Wort und rief: „Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung!“ Daraufhin wurde er verhaftet, was eine Protestwelle auslöste. Am 27. Juni demonstrierten 25.000 Arbeiter in Berlin für seine Freilassung. Einen Tag später protestierten sogar 55.000 Arbeiter mit einem politischen Streik gegen die Verhaftung.

Parallel zur aufkeimenden Bewegung verschoben sich auch die Kräfteverhältnisse innerhalb der  SPD. 1916 hatte die Opposition bereits Verbindungen zu SPD-Gliederungen in 300 Städten. Die Führung geriet immer mehr unter Druck.


Drei Strömungen

Zu dieser Zeit war die SPD in drei innerparteiliche Strömungen zerfallen. Auf der ganz linken Seite standen die revolutionären Internationalisten. Dazu gehörten neben der Spartakusgruppe, wie sie sich die Linken um Luxemburg jetzt nannten, auch noch Zusammenschlüsse wie die „Bremer Linksradikalen“.

Die Internationalisten standen auf den politischen Grundlagen, wie sie die Vorkriegssozialdemokratie formuliert hatte: keine Zusammenarbeit mit der eigenen herrschenden Klasse, sondern internationale Solidarität aller Arbeiter, um den Krieg zu beenden. Sie hielten es mit der Analyse des französischen Sozialisten Jean Jaurès: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ Sie wollten deshalb die Herrschaft der Kapitalisten stürzen. Als Mittel hierzu sahen sie Proteste und Massenstreiks von Arbeitern und Soldaten.

Auf der „rechten“ Seite befanden sich die „Sozialpatrioten“ um den Parteivorsitzenden Friedrich Ebert – jene Sozialdemokraten, die den Krieg unterstützen. Einige von ihnen ließen sich sogar vom Kaiser und der Regierung für Kriegspropaganda einspannen. Die Sozialpatrioten kontrollierten zudem die gewerkschaftlichen Führungen und versuchten, kampfbereite Arbeiter in den Betrieben zurückzuhalten, um den „Burgfrieden“ mit der Regierung nicht zu gefährden. Den aufkeimenden innerparteilichen Protest versuchten die „Sozialpatrioten“ autoritär zu unterdrücken, indem sie Kriegsgegner aus Gremien ausschlossen.

Zwischen diesen beiden Flügeln stand das „Zentrum“. Dessen Vertreter verfolgten eine Politik des „Sowohl-als-auch“. Anfänglich hatten sie mehrheitlich den Krieg unterstützt. Durch die zunehmenden Horrormeldungen von der Front und unter dem Einfluss der revolutionären Internationalisten bewegten sie sich in Richtung Kriegsgegnerschaft. Gleichzeitig wollten die Zentrumsleute keinen offenen Kampf gegen die „Sozialpatrioten" führen, um die Einheit der Partei nicht zu gefährden. Um den Krieg zu beenden, appellierten sie an Kaiser und Militärführung, in Friedensverhandlungen einzutreten. Den Aufbau einer außerparlamentarischen Antikriegsbewegung und deren Ausweitung in eine revolutionäre Bewegung unterstützten sie nur halbherzig. An der Spitze dieser Strömung stand der bekannte marxistische Theoretiker Karl Kautsky. Sie schloss sich im März 1916 zur „Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft“ (SAG) innerhalb der SPD zusammen.
Wie mit dieser Strömung umgehen? Das war eine Frage, vor der Spartakusgruppe stand. Ein Vorschlag war, eine gemeinsame Organisation innerhalb der SPD zu bilden. Luxemburg war dagegen. Als eine Konferenz der Kriegsgegner im Winter 1916 einberufen werden sollte, schrieb sie: „Unsere Taktik auf dieser Konferenz müsste dahin gehen, nicht etwa die ganze Opposition unter einen Hut zu bringen, sondern umgekehrt aus diesem Brei den kleinen, festen und aktionsfähigen Kern herauszuschälen, den wir um unsere Plattform gruppieren können. Mit organisatorischer Zusammenfassung hingegen ist große Vorsicht geboten. Denn alle Zusammenschlüsse der ‚Linken‘ führen nach meiner bitteren langjährigen Parteierfahrung nur dazu, den paar aktionsfähigen Leuten die Hände zu binden.“

Das bedeutete nicht, dass Luxemburg gegen die konkrete praktische Zusammenarbeit aller Kriegsgegner war. Sie glaubte allerdings, dass die inhaltlichen Gegensätze zwischen Zentrum und Revolutionären so groß waren, dass bei einem organisatorischen Zusammenschluss die Handlungsfähigkeit der Revolutionäre leiden würde. So gab es zum Beispiel in der Frage, ob Arbeiterstreiks gegen den Krieg unterstützenswert seien, keine Einigkeit. Ein Streit darüber hätte eine gemeinsame Plattform gelähmt.


USPD und Spartakusbund

Ab Ende 1916 bewegte sich die SPD unaufhaltsam auf die Spaltung zu. Im Herbst jenes Jahres entschieden sich immer mehr Ortsvereine, dem Parteivorstand keine Mitgliederbeiträge mehr zu überweisen. Nachdem die Opposition am 7. Januar 1917 eine erste Reichskonferenz organisiert hatte, beschloss die SPD-Führung deren Parteiausschluss – sowohl der Revolutionäre als auch großer Teile des Zentrums. Das Schisma der Sozialdemokratie war vollzogen. Hatte die Partei zu Beginn des Weltkrieges noch eine Million Mitglieder, so waren es nun nur noch 200.000.

Die Ausgeschlossenen organisierten Anfang April 1917 in Gotha eine weitere Reichskonferenz. Dort beschlossen sie die Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). An der Gründungsversammlung nahmen Delegierte aus 91 sozialdemokratischen Wahlkreisorganisationen und 15 Reichstagsabgeordnete teil. Die neue Partei hatte eine sehr heterogene Mitgliedschaft: Unter ihren prominenten Gründern waren Kriegsgegner der ersten Stunde wie Hugo Haase oder Kurt Eisner, marxistische Theoretiker wie Karl Kautsky, aber auch theoretische Wegbereiter der Rechten wie den „Revisionisten“ Eduard Bernstein.

Mit der Gründung der USPD stellte sich auch für die Revolutionäre die Organisationsfrage neu. Die Arbeit in der SPD war durch disziplinarische Maßnahmen der Parteiführung unterbunden worden, jetzt musste das Verhältnis zur neuen Partei bestimmt werden. War es besser, unabhängig von der USPD zu agieren oder Fraktionsarbeit innerhalb der neuen Partei zu betreiben? An dieser Frage spaltete sich die Linke. Die „Bremer Linksradikalen“ traten der USPD nicht bei, weil sie den vormaligen Zentrumsleuten ihre schwankende und halbherzige Haltung vorwarfen.

Auch Luxemburg nahm nichts von ihrer Kritik an dem Zentrum zurück. Trotzdem argumentierte sie für einen Eintritt der Spartakusgruppe in die USPD. Ihre Überlegung war folgende: Die deutsche Arbeiterbewegung bräuchte eine revolutionäre Massenpartei, die nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen das kapitalistische System als Ganzes den Kampf aufnehme. Eine solche Partei falle jedoch nicht vom Himmel, sondern sei das Ergebnis eines Gärungsprozesses, dessen erste Phase mit der organisatorischen Spaltung der SPD und der Gründung der USPD abgeschlossen ist. Die USPD stelle einen bedeutenden Schritt nach links von substanziellen Teilen des Parteiapparates und der SPD-Anhängerschaft dar. Gleichzeitig sei die neue Partei so uneinheitlich und die Spannbreite ihrer Flügel so groß, dass in Folge einer großen gesellschaftlichen Krise, wie zum Beispiel einer revolutionären Massenbewegung, eine Krise unausweichlich sei.

„Es gilt ebenso, die neue Partei, die größere Massen in sich vereinigen wird, als Rekrutierungsfeld für unsere Ansichten, für die entschiedene Richtung in der Opposition auszunutzen“, fasste Jogiches die Haltung der Spartakusgruppe zusammen. „Es gilt schließlich, die Partei als ganzes durch rücksichtslose Kritik, durch unsere Tätigkeit in den Organisationen selbst wie auch durch unsere selbständigen Aktionen vorwärts zu treiben, eventuell auch ihrer schädlichen Einwirkung auf die Klasse entgegenzuwirken.“


Die Linke in der Revolution

Anfang November 1918 passierte schließlich das, worauf die Spartakusgruppe jahrelang hingearbeitet hatte: Eine Massenbewegung von Arbeitern und Soldaten stürzte den Kaiser und beendete die deutsche Beteiligung am Weltkrieg. Die Gruppe hatte bis zu diesem Zeitpunkt ihr Organisationsnetz weiter ausgebaut. Sie brachte acht verschiedene Publikationen heraus, deren Auflage zwischen 25.000 bis 100.000 lag – und das zu einem Zeitpunkt, als nahezu die gesamte Leitung der Spartakisten im Gefängnis saß. Dennoch war die Gruppe im Verhältnis zu der gigantischen Bewegung, die nun begann, winzig klein: Sie hatte gerade einmal 3.000 Mitglieder.

Rosa Luxemburg befürchtete, dass sich die SPD an die Spitze der revolutionären Bewegung setzen würde, um sie abzuwürgen. In den Wochen vor Beginn der Revolution waren Vertreter der Partei vom angeschlagenen Kaiser in die Reichsregierung berufen worden. Luxemburg prophezeite: „Der Regierungssozialismus stellt sich mit seinem jetzigen Eintritt in die Regierung als Retter des Kapitalismus der kommenden proletarischen Revolution in den Weg.“ Deshalb kämpfe sie dafür, dass sich die USPD bedingungslos auf die Seite der revoltierenden Arbeiter und Soldaten stelle. Ihr wesentliches Argument: Wenn die Revolution nicht weitergetrieben wird, wenn die Arbeiter den Fabrikherren nicht die Macht entreißen, dann wird die alte Ordnung zurückkehren und fürchterlich Rache nehmen.

Doch im revolutionären Überschwang im November 1918 vertraten sie eine Minderheitenposition. Als die SPD verkündete, sie wolle eine gemeinsame Regierung mit der USPD bilden, willigte deren Führung ein. Luxemburg bilanzierte ernüchtert: „Wir haben der USPD angehört, um aus der USPD herauszuschlagen, was herausgeschlagen werden kann, um die wertvollen Elemente der USPD voranzutreiben, um sie zu radikalisieren. Das, was erreicht wurde, war außerordentlich gering. Mittlerweile dient die USPD als Feigenblatt für die Ebert-Scheideman.“ Die Spartakusbund, wie sich die Gruppe nun nannte, beschloss daraufhin, die USPD zu verlassen. Luxemburg verkündete, dass es „für eine Partei der Halbheit und Zweideutigkeit in der Revolution keinen Platz mehr“ gebe. 

Gemeinsam mit den „Bremer Linksradikalen“ gründete der Spartakusbund um die Jahreswende 1918/19 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Die Delegierten erwarteten das baldige Auseinanderbrechen der USPD. Doch zunächst passierte das Gegenteil. Die USPD wuchs rasant – vor allem weil sie Ende Dezember 1918 die gemeinsame Regierung mit der SPD wieder verlassen hatte. Seitdem verdreifachte sich ihre Mitgliederzahl auf 300.000 im Januar.

Eine große Streikbewegung im Ruhrgebiet, die Bayerische Räterepublik und der Kapp-Putsch 1920 führten zu einem weiteren Wachstum der Partei. Im Oktober 1920 hatte sie fast 900.000 Mitglieder. Bei der Reichstagswahl im Juni desselben Jahres erreichte die USPD mit 17,9 Prozent der Stimmen. Nicht nur, dass viele durch die Revolution neu radikalisierte Arbeiter bei der USPD landeten - die Partei radikalisierte sich auch und bewegte sich nach links.

Die KPD hingegen griff nicht in die Arbeiterschaft aus. Sie wurde Anfang 1919 verboten, kurz darauf wurden Luxemburg, Liebknecht und Jogiches von rechtsgerichteten Soldaten ermordet. Ihrer erfahrensten Führungspersönlichkeiten beraubt und durch interne Streitigkeiten gelähmt, kam die KPD bei der Wahl 1920 gerade einmal auf 2,1 Prozent der Stimmen.

Neues Leben wurde der KPD ausgerechnet durch die Spaltung der Partei eingehaucht, die viele ihrer Mitglieder zwei Jahre zuvor verlassen hatten. Rosa Luxemburg hatte Recht behalten: Die USPD zerbrach an ihren inneren Widersprüchen. Auf dem Parteitag am 12. Oktober 1920 kam es zum Bruch. Teile der Mitgliedschaft hatten sich so weit nach links entwickelt, dass sich die Parteitagsmehrheit für einen Zusammenschluss mit der KPD aussprach. Zwar folgte nicht die gesamte Mitgliedschaft, dennoch gewann die KPD über Nacht mehr als 300.000 neue Mitglieder und wurde zu einer Massenpartei. Die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) sollte die Weimarer Republik maßgeblich mit prägen. Rosa Luxemburg erlebte es nicht mehr mit.

Ausblick

Auch heute ist die Sozialdemokratie wieder in der Krise. Erstmals seit Jahrzehnten hat sich mit der LINKEN eine relevante, in der Arbeiterbewegung verankerte Kraft links von ihr gegründet. Damit besteht die Möglichkeit, die Tradition des lebendigen Marxismus, wie er von Rosa Luxemburg und der Spartakusgruppe verkörpert wurde, unter veränderten Bedingungen wieder neu aufleben zu lassen.

 

Marcel Bois ist Historiker und promoviert an der Universität Hamburg zur Geschichte der KPD.

Stefan Bornost ist leitender Redakteur von marx21 und aktives Mitglied der LINKEN in Berlin.