Langfristige Basisarbeit

Besetzung der Keramikfabrik Zanon in Argentinien kam nicht aus heiterem Himmel. Eine Veranstaltung im Berliner IG-Metall-Haus

Produktion bei Zanon

Viele sagen, Zanon sei ein Ausdruck der besonderen Bedingungen der Krise von 2001 in Argentinien« erzählte der schmale Arbeiter im großen Saal des IG-Metall-Hauses in Berlin-Kreuzberg. »Doch Zanon ist nicht vom Himmel gefallen.«

Um die Geschichte zu erzählen, sprach Raúl Godoy, Arbeiter aus der besetzten Keramikfabrik Zanon in Argentinien, auf einer Diskussionsveranstaltung über Arbeiterkontrolle als Antwort auf die Krise am Samstag abend. Die 450 Zanon-Arbeiter besetzten ihre Fabrik im Jahr 2001 und produzieren seit über zehn Jahren unter eigener Regie – und ohne Chefs. Der ehemalige Generalsekretär der Gewerkschaft der Keramikarbeiter hatte in den letzten zwei Wochen bereits in Paris, Barcelona, Athen und Thessaloniki über diese Erfahrung der Selbstverwaltung berichtet.

»Seit über 20 Jahren arbeite ich in der Fabrik, und am Anfang waren die Bedingungen sehr hart«, erinnerte sich Godoy. Ein kleiner Kern von politischen Aktivisten fing an, die Kollegen zu organisieren – nicht nur mit gewerkschaftlichen Themen, sondern auch mit Grillfesten und Fußballspielen. »Jede Abteilung der Fabrik bildete eine eigene Mannschaft, und jede Mannschaft wählte einen Delegierten, um das Spiel zu koordinieren. Damit hatten wir schon ein erstes Netzwerk von Kollegen«, so Godoy.

Kämpferische Arbeiter gründeten eine Gruppierung, die für mehrere Punkte eintrat: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gegen Leiharbeit und Prekarisierung und für demokratische Vollversammlungen als Entscheidungsorgan. Sie nennt sich »Liste Marrón« oder »Braune Liste«. Als das Publikum darüber lacht, muß Godoy ebenfalls lachend erklären: »Braun ist die Farbe von klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegungen seit den 70er Jahren in Argentinien.« Klar hat die Farbe in Berlin eine andere Bedeutung, aber: »In Argentinien tragen die Faschisten die Nationalfarben hellblau-weiß.«

Die »Braunen« bei Zanon konnten zuerst den Betriebsrat und dann die Gewerkschaft aller Keramikarbeiter der Stadt erobern. Als die Wirtschaftskrise im Jahr 2001 ausbrach, konnten sie Bündnisse mit Arbeitslosen, Studierenden und anderen besetzten Betrieben bilden. Die erkämpfte Selbstverwaltung verteidigten sie gegen mehrere Räumungsversuche und erzwangen schließlich im Jahr 2009 die Enteignung durch das Parlament. »Früher haben wir Arbeiter nach der Schicht unsere Arbeitsklamotten gleich ausgezogen, denn man schämte sich dafür, daß man ausgebeutet wurde.« Doch Godoy trägt sein braunes Hemd mit Gewerkschaftslogo auch in Europa: »Heute ziehen wir Zanon-Arbeiter unsere Hemden nicht mal zum Schlafen aus« – denn es sei zum Symbol für den Kampf gegen die Ausbeutung geworden.

Godoy hatte am Vortag die besetzte Baustofffabrik Vio.Me im griechischen Thessaloniki besucht, in der 38 Arbeiter seit drei Monaten produzieren. Dort erzählte er von den zahlreichen Problemen bei Zanon in den ersten Jahren (etwa der Mangel an einer legalen Form, um die Produkte offen verkaufen zu dürfen), die die Vio.Me-Arbeiter gerade auch erleben. Auf der Veranstaltung in Berlin wurden zur Unterstützung über 250 Euro eingesammelt, damit Vio.Me unter Beweis stellen kann, daß es eine Alternative zu Fabrikschließungen, Arbeitslosigkeit und Misere gibt.

»Doch Kooperativen sind keine Lösung an sich«, schloß Godoy seine Ausführungen. »Wir haben nur eine Übergangsform des Widerstandes. In der Fabrik haben wir eine gewisse Freiheit erkämpft, aber vor dem Tor herrscht ein kapitalistisches System in der Krise.« Deswegen werde die Zukunft der Zanon-Arbeiter nicht allein durch sie selbst, sondern durch den Klassenkampf aller Arbeiter weltweit entschieden.