Arbeiterselbstverwaltung in Deutschland und im deutschsprachigen Raum

Novemberrevolution, Matrosenaufstand

Ideen und Ursprünge der Selbstverwaltung von Produktion lassen sich im deutschsprachigen Raum bis hin zu den genossenschaftlichen Formen bäuerlicher Selbsthilfe im Mittelalter verfolgen, vielleicht sogar bis zu den Vergesellschaftungsformen der Germanischen Stämme vor der Christianisierung. Freilich sind gerade zu dieser Zeit kaum kritische Analysen vorhanden, denn nationale und völkische Romantik dominierten die Geschichtsschreibung und verstellten den Blick auf derartige Phänomene.
Zur widerständigen Praxis wurde die Idee der Selbstverwaltung erst, als die Durchsetzung kapitalistischer Fabrikdisziplin im 19. Jahrhundert den Arbeitenden jegliche Eigeninitiative nahm und sie mehr und mehr zu bloßen Werkzeugen innerhalb des Produktionsprozesses degradierte.

Jenseits von Lohnkämpfen gab es daher schon während der Industrialisierung immer wieder  Ansätze, die eine selbstverwaltete Produktion forderten. Den größten Einfluss hatten hier verschiedene Genossenschaftsideen, die vom liberalen Sozialreformen bis hin zu sozialistischen Utopie einer befreiten Gesellschaft reichten.

Mit der Durchsetzung des Marxismus in den 1880er Jahren wurden diese Utopien und Selbstverwaltungsideen jedoch mehr und mehr ersetzt durch die Idee des revolutionären Klassenkampfs. Dies brachte einerseits eine Radikalisierung der Arbeiterbewegung, aber auch eine Vertagung des Selbstverwaltungsgedankens auf einen fernen Zeitpunkt jenseits der Revolution. Erst der Bruch des ersten Weltkrieges brachte Ideen von Arbeiterkontrolle und Arbeiterselbstverwaltung plötzlich in die Gegenwart zurück.

Bereits im Widerstand gegen den Weltkrieg kam es mit den „Revolutionären Obleuten“ zu einer Wiederbelebung der gewerkschaftlichen Basisdemokratie, es folgten die Rätebewegung der Novemberrevolution 1918, die ganz Deutschland erfasste, zahlreiche rätedemokratische Konzepte hervorbrachte und in Ansätzen auch ausprobierte.

Obwohl die Rätebewegung schon bald eine Niederlage erlitt, gerieten ihre Ideen nicht in Vergessenheit. Sie prägten marxistische Dissidenten wie Karl Korsch, Herbert Marcuse, Ernst Bloch und Georg Lukacz. Durch ihre Vermittlung gehört das Konzept der Rätedemokratie seitdem zum festen Repertoire einer ganzen Reihe von Widerstandsbewegungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Spektrum reicht von der Studierendenrevolte der 1960er Jahre bis hin zu den Autonomen der 1980er Jahre und dem neuen Antikapitalismus der heutigen Antiglobalisierungsbewegung, wie er etwa in den Massenprotesten gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm 2007 auftrat.
Während diese Bewegungen jedoch meist außerhalb des Arbeitsplatzes agierten, kam es nach der Insolvenz eines Fahrradherrstellers in Nordhausen im Jahre 2007 erstmals seit den wilden Streiks der 1970er Jahre wieder zu einer Betriebsbesetzung durch die Belegschaft. Die Produktion wurde in Selbstverwaltung weitergeführt. Obwohl das Experiment nicht lange währte, erreichte es große Bekanntheit und zeigte die Aktualität von Konzepten der Arbeiterselbstverwaltung in der aktuellen Weltwirtschaftskrise.

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